Selbstverständnis

Wissenschaft ist politisch! Als Teil der Gesellschaft und der darin bestehenden Verhältnisse erfüllt sie eine ambivalente Funktion: Einerseits strebt sie nach objektiven Wahrheiten und rationalen Erkenntnissen, andererseits untersucht sie vielfältige Existenzformen und subjektive Erfahrungsweisen. So sehr sie sich auch Werten und Praktiken von Gleichheit und Freiheit verschrieben haben, sind auch die Sozialwissenschaften nicht davon ausgenommen, dominante Diskurse und Herrschaftsverhältnisse zu reproduzieren. Forschungseinrichtungen sind an Universitäten oder andere Institutionen gebunden, finanziell von diesen abhängig und fördern somit bestimmte Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster; letztlich Herrschaftswissen. Denn Wissen ist Macht!

Als Studierende sind wir unmittelbar Teil dieses Systems. Wir lernen gängige wissenschaftliche Theorien und Methoden kennen, um diese im Rahmen von Hausarbeiten und empirischen Forschungsprojekten anzuwenden. Doch während Forschungsinstitute und universitäre Fachbereiche häufig um eine Förderung mit Drittmitteln ringen, die nicht selten an politisch motivierte Forschungsprogramme geknüpft sind, können Studierende im Rahmen von Haus- und Seminararbeiten in der Regel frei ihren Erkenntnisinteressen nachgehen. Meistens landen die daraus entstandenen Arbeiten jedoch in der (seit zwei Jahren vermehrt digitalen) Schublade – im besten Fall freut man sich über ein positives Feedback des*der Dozierenden und eine gute Note für das Abschlusszeugnis…

Um diesem akademischen Missstand entgegenzuwirken, haben wir uns Ende 2021 auf Initiative der Fachschaft des Instituts für Sozialwissenschaften (ISW) der Humboldt-Universität zu Berlin entschlossen, ein wissenschaftliches Journal von Studierenden und für Studierende und Interessierte zu gründen: sowieso – sozialwissenschaftlich. emanzipatorisch. studentisch. organisiertWir sind eine kleine Gruppe Studierender aus dem Bachelor- und Masterstudium der Sozialwissenschaften an der HU Berlin. Wir sehen uns teilweise als junge Wissenschaftler*innen und definitiv alle als kritische Studis, die ihre (relativ) privilegierte soziale Stellung nutzen möchten, um (im weiteren Sinne) politisch aktiv zu sein. Uns motivieren das Interesse und die Möglichkeit, wissenschaftliche Texte zu lesen, zu publizieren und kritisch zu diskutieren. Studierenden soll somit öffentlichkeitswirksam eine Plattform geboten werden. Ziel ist es, im Zuge dessen Kommiliton*innen zu inspirieren, weiterzubilden, zu motivieren und bestenfalls bei der eigenen Arbeit zu unterstützen. Dabei wollen wir uns selbstverständlich auch auf unser eigenes Berufsleben vorbereiten, denn als (zukünftigen) Sozialwissenschaftler*innen ist uns bewusst, dass die Produktion und Publikation systematisch gefertigter Texte in unserer Arbeit einen zentralen Stellenwert einnehmen wird.

Aufgrund unserer sozialen (Nicht-)Zugehörigkeiten können wir mit unserem Journal womöglich nicht all jene repräsentieren, die wir repräsentieren wollen… Was wir allerdings tun können, ist, unseren Kommiliton*innen und anderen Interessierten zu ermöglichen, sich wissenschaftlich zu erproben und damit in gewisser Weise vom alltäglichen Universitätsbetrieb und anderen gesellschaftlichen Zwängen zu emanzipieren. Deshalb möchten wir insbesondere einen Raum für marginalisierte Perspektiven schaffen, um ein Gegengewicht zu gefestigten wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Positionen zu etablieren. Da an vielen deutschen Universitäten oft keine studienbegleitenden Seminare zu wissenschaftlichem Arbeiten und Schreiben angeboten werden, sehen wir es auch als unseren Auftrag, mit unserem Journal (SoWi-)Studierenden die wissenschaftliche Kultur näher zu bringen. Wir möchten Beispiele geben, wie studentische Hausarbeiten (idealerweise) aussehen, um damit den Wissenstransfer und den wissenschaftlichen Austausch unter Studierenden zu fördern, ohne diese Art des Schreibens wie ein Hexenwerk darzustellen. Gleichzeitig möchten wir studentische Arbeiten aufwerten, eine breitere Teilhabe am wissenschaftlichen Diskurs ermöglichen und damit eine Egalisierung wissenschaftlicher Strukturen und Praktiken zu bewirken. Wie an Publikationen junger Aktivist*innen und anderer studentischer Journals zu beobachten ist, erarbeiten auch die jüngeren Generationen innovative Ideen und Ansätze, die gezielt die (Deutungs-)Macht herrschender Strukturen angreifen.

In dieser Tradition möchten auch wir von sowieso kritische Perspektiven beleuchten – als Ausdruck der Ambivalenz zwischen gefestigten Machtstrukturen und emanzipatorischen Potenzialen. Auch wenn wir wie eingangs beschrieben Teil dieser vermachteten Gesellschaft sind, arbeiten wir einer unkritischen Reproduktion hegemonialer Deutungs- und Handlungsmuster entgegen. In einer Zeit multipler Krisen ist es wichtiger denn je, deutliche Herrschaftskritik zu üben: Jegliche Unterdrückungsmechanismen und autoritäre Gewaltverhältnisse wie kapitalistische Ausbeutung, Sexismus, Rassismus, Kolonialismus, Imperialismus, Faschismus, Klima- und Umweltzerstörung sowie gesellschaftliche Regressionen entlang dieser Linien und einhergehende Ideologien lehnen wir entschieden ab! Im Sinne einer mehrdimensionalen Sozialwissenschaft in kritisch-emanzipatorischer Tradition unterstützen wir Ansätze wie Solidarität, Inklusion, Intersektionalität, (radikale) Demokratie sowie das Empowerment marginalisierter Gruppen einhergehend mit dem Zurückdrängen gefestigter und neu aufkeimender Herrschaftsstrukturen. Im Kontext unserer Arbeit achten wir professionelle Integrität und finanzielle Unabhängigkeit. In zwischenmenschlicher Hinsicht verkörpern wir als Journal (Selbst-)Reflektion, damit unterstützen wir vor allem ein empathisches Miteinander und eine konstruktive Fehlerkultur, um eine legitime Meinungsvielfalt und wissenschaftliche Methodenpluralität zu gewährleisten und zu fördern.